AM25 – Brief an Walter Gropius
Toblach, Mittwoch, 24. August 1910
Abends – im Bett.
Mittwoch
Mein
Dein lieber Brief heute und das süße lesende Bild – da hab’ ich Dich mehr Du [!] – als in den beiden andern!!!! Es ist ein Jammer um diese Platte. – Die beiden Bücher sind auch in meinen Händen. Ich habe alles abends geholt – noch nicht drin gelesen – aber allein der Anblick des Nietzschebuchs macht mir Freude[.] – Ich liebe solche alte [!] Bücher – um sie ist Erlebtes – schon bevor man sie liest. ist heute besser – er fährt wahrscheinlich morgen nach München. – Wenn ich nur schon ein Kind
von Dir hätte – ich habe fast geweint, als ich Dein liebes – liebes Gesicht und Deine Hände gesehen habe. Lebe gesund!
– ich habe in den letzten Briefen ein Kühlerwerden zu spüren geglaubt – mach’ mir nichts vor!! – Du bist so jung und schön! – Eines Tages wird das Sehnen Deines Herzens ein neues Echo finden, – dann komm vertrauensvoll zu mir und sag’ es – aber – möge ich doch diesen Tag nie erleben! Denn – ich liebe Dich! – —
Und ich will nur Dich Dir – mein eigenes Ich noch einmal erstehen sehen[.] – Was geht mich die Entfernung an – America – das ist mir alles egal –
ich will Dich empfangen und dann können uns auch Welten trennen, das heißt, sie können es eben nicht mehr. Dann lache ich aller Zweifel. – Deine Akte sind mir eine unendliche Augenweide!! – Deine Schrift über das Kunstwollen, das Du mir schon einmal – auf dem Wiesenweg (mit u. meiner ) auseinander gesetzt hast[,] habe ich einmal gelesen – aber in den Tagen der Sorge um und nicht gründlich genug, um mit Dir darüber zu reden[.] – Ich nehme es wieder vor u (morgen) und schreibe Dir darüber genau. —
Es ist sehr spät und ich werde auslöschen – ich nehme Dich mit mir in ein Land, wo es keine Trennung gibt . . . .
Bin übrigens neugierig, wie lang Du mir treu bleiben wirst – bist Du noch ganz derselbe – den ich kannte und liebte. Ganz derselbe? Was für Dinge, meinst Du[,] sind zwischen uns zum Schweigen gekommen? Ich bitte – schreibe mir alles. – Ich werde es thun, so bald ich nur allein bin – ich bin immer unter Menschen – Du nicht – lege Dich nackt vor mir nieder – so wie damals in Tobelbad – als ich ins Zimmer kam. Wenn ich doch nur einmal noch dieses Glück erleben dürfte, wie durch Dich – in unsern Nächten! —
So nackt lege Deine Seele vor mich hin. Ich werde alles, immer verstehen und jeden Athemzug von Dir, ob er jetzt für mich ist, oder gegen mich – lieben. —
Ich fühle mich besser[.] – —
Ich hoffe, und das erhält: Schreibe mir weiter auf kurzen Zetteln Deine Gedanken nieder – ich liebe das –
und schick mir[,] so oft Du willst – od[er] kannst[,] Nachrichten poste rest.[ante] Fraun Anna Hoppe. – Mein Geliebter – mein Schönstes – „Du Inbegriff“ [!] alles Schönen“ für mich – bleib mir – und bleib mir das!
Dein Weib –
Apparat
Überlieferung
, , , , , .
Quellenbeschreibung
3 Bl. (6 b. S.) – Briefpapier.
Beilagen
Umschlag, , – Neubabelsberg bei Berlin | Stahnsdorferstraße 83 | Herrn Walter Gropius; PSt. (lt. , S. 531, Nr. 112): [TOBLACH] 2 | [Tag] | [Monat] | # A | 10 | c; von WG mit einer 12 versehen (Zur Nummerierung von Alma Mahlers Briefumschlägen). Beide Briefmarken fehlen, daher Stempel unvollständig, darunter Porto-Angabe von AM wahrscheinlich als Information für einen Boten: 10 [Heller].
Druck
, S. 905, bei Anm. 382 (partielle Inhaltsangabe) und in Anm. 382 (Auszug in engl. Übersetzung).
Korrespondenzstellen
Antwort auf WG50 vom 22. oder 23. August 1910 (Winter. Amerika?): Was geht mich die Entfernung an – America – das ist mir alles egal, WG51 vom 22. oder 23. August 1910 (Wirst Du mit nach Amerika gehn?): Was geht mich die Entfernung an – America – das ist mir alles egal und WG52 vom 22. oder 23. August 1910 (Bild): Dein lieber Brief heute und das süße lesende Bild. Beantwortet durch WG55 vom 27. August 1910 (Fürchte nicht ein Kühlerwerden): ich habe in den letzten Briefen ein Kühlerwerden zu spüren geglaubt und WG56 vom 27. August 1910 (Ja Alma, könnten wir noch einmal dieses Glück unserer Nächte genießen. Die neuen würden noch viel schöner): Wenn ich doch nur einmal noch dieses Glück erleben dürfte, wie durch Dich – in unsern Nächten.
Datierung
Poststempel: Aufgrund der beiden abgelösten Briefmarken sind fast alle Teile der Poststempel nicht erhalten.
Schreibdatum: „‚Wednesday‘ (24. Aug.)“ (, S. 905, Anm. 382).
WGs Briefnummerierung folgend, entstand der vorliegende Brief AM25 am Mittwoch unmittelbar nach AM24 vom 23. August 1910, in dem AM von Kollaps berichtete. Die Passage Gustav ist heute besser – er fährt wahrscheinlich morgen nach München (AM25) zeugt von einer sehr raschen Besserung. Tatsächlich sollte aber stattdessen eine Reise zu antreten, um sich von diesem wegen seiner Ehekrise behandeln zu lassen (Gustav ist gestern Mittag nach Leyden gereist, AM26 vom 27. August 1910).
Übertragung/Mitarbeit
(Manuel Tietz)
(Elke Steinhauser)
Platte – wahrscheinlich eine Fotoplatte aus Glas.
Gustav ist heute besser – s. AM24 vom 23. August 1910: Kollaps.
München – Uraufführung der von am 12. September 1910, vgl. wahres Reiseziel in AM26 vom 27. August 1910: Leyden.
Ursprünglich: stehen.
Akte – s. WG21 vom 27. bis 31. Juli 1910: Aktaufnahmen.
Schrift über das Kunstwollen – s. AMWG0 vom 4. bis 30. Juni 1910: [Skizze zweier Fassadenschnitte].
Wiesenweg – in Tobelbad.
Sorge um Gucki und Gustav – , Kindermädchen, hatte diese und mit Angina angesteckt, s. AM24 vom 23. August 1910.
Dreifach unterstrichen.
Dreifach unterstrichen.
Fraun Anna Hoppe – s. AM20 vom 15. August 1910.